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Jordan Desert Cup 05-07 Nov 2002
Keine 48 Stunden ... oder ...

Das Geheimnis der Eieruhr



Desert Cup 2002 - A Jordanian Sojourn
(c) by shakal ryan, 12nov02


Ein Leitung

Weit. Lang. Hart. Sand.
Sehr weit und viel Sand.
Sand soft.
So soft wie in einer 5***** Luxushotel-Sauna-Eieruhr in Jordaniens Kapitale Amman.
So oft ich zuvor auch darüber nachgedacht hatte, so recht konnte ich mir keine Vorstellung davon machen, wie es mir selbst in solch einer Softsand-Eieruhr ergehen würde.

168 Kilometer. Weit. Sehr weit.
Von Rothenburg ob der Tauber nach Heidelberg fährt man 168 km. Mit dem Auto.
Sagt zumindest die website eines Hotels im Zentrum Rothenburgs.
Der Rennsteig in Thüringen ist 168 km lang. Von Hörschel (Werra) bis Blankenstein (Saale). Eine schöne Wanderung soll es sein, 8 Tage, 9 Übernachtungen.
Sagt das Fremdenverkehrsamt.
Die ICE Neubaustrecke der DB von Frankfurt nach Kassel möchte auch 168 km lang sein.
Sagen die Planer.
Und darauf wird die Bahn weniger als eine Stunde benötigen.
Sagt sie.
Vermutlich manchmal etwas länger.

Ich brauche 48 Stunden. Zu fuß. Nonstop durch die Wüste.
Sage ich.

Hoffentlich nicht länger, sonst bekomme ich im Ziel noch eine Strafstunde obenauf gepackt. Obenauf gepackt ist aber schon mein Rucksack. Der wiederum um so mehr wiegt, je länger man als Teilnehmer meint, unterwegs sein zu müssen, weil alle Nahrung selbst zu tragen ist. Und wer langsamer, mithin länger läuft ... muß länger essen können.
Sagt die Veranstaltungs-Organisation.

*

Mit der nebulösen Bestimmung eigener Leistungsmöglichkeiten
hatte ich das erste Problem schon vor dem ersten Kilometer, als ich die Ausschreibung zum Desert Cup 2002 las, eine Veranstaltung ähnlich einer inoffiziellen Wüsten-Ultramarathon-Weltmeisterschaft.
Vom 05.11.2002 an wollten sich ein paar vermutlich schon gleich nach Geburt mit dem Hammer Gepuderte auf den Spuren des berühmten Schriftstellers, Feld- und Film-Herren Lawrence of Arabia durch die jordanische Wüste bewegen.
Von der berühmten, über 2000 Jahre alten Nabatäer-Felsenstadt Petra ins Wadi Rum.
Zu fuß. Nonstop. Eine Strecke, ziemlich genau 4 mal so lang wie ein Marathon.

Wenn ich mich denn beeilte, bekäme ich noch einen der nicht genutzten Startplätze aus dem USA-Kontingent.
Sagte mir Anke am Telefon.

Auch sie vom Puder frühzeitig reichlich bedacht, hatte sie einen anderen berühmten Wüstenlauf schon mal als schnellste Frau bewältigt. Regelmäßig koordiniert und betreut sie nun alle deutschsprachigen Teilnehmer des Desert-Cup-Laufes.

´Wir wollen dieses Jahr nicht nach Jordanien, das liegt doch gleich bei Irak!?´
Sagten sich vermutlich die meisten der US-Amerikaner.

Und blieben zu Hause.

Entschlossen malte ich mein Kreuzchen bei 48 Stunden.
Zur Auswahl standen auch 36 Stunden, 62 Stunden, 24 Stunden gar?
Nach meiner vorab gewählten ´Wunschzielzeit´ bemaß sich nun die Menge im Rucksack mitzuführender Pflichtkalorien.

Ich traf diesen Entschluß, weil die durchschnittliche Geschwindigkeit eines gemeinen europäischen Großstadt-Samstags-Shoppers in einer Studie einst mit 3,46 km/h gemessen worden war. Multipliziert mit 48 ... Bingo!

Gut, ich würde einen vermutlich 6-8 kg schweren Rucksack schultern müssen. Statt dessen hat der Shopper Einkaufstüten. Gut, es würde durch die Wüste gehen, da ist der Boden naturgemäß weniger Vortrieb bietend als im Großstadt-Beton. Andererseits gab das zu erwartende verbesserte Platzangebot ausgleichenden Grund zur Hoffnung.

Problem Nr. 2 folgte vor dem Fuß.

Wie groß mußte wohl ein Rucksack sein, der für einen 48stündigen Wüstenlauf all die geforderten sog. Pflichtausrüstungs-Gegenstände wegstecken konnte:

Schlafsack, Sweat-Shirt, Windjacke, Rettungsdecke, Taschenlampe samt Ersatzbatterien,
Messer, Pfeife, Signalspiegel, 2 Not-Behälter samt je einem halben Liter Wasser, und dann das ganze Essen (Zusammensetzung noch völlig unbestimmt) ...
Für ein Fläschchen antibakterielle Lösung, 10 Sicherheitsnadeln, Kompaß und Feuerzeug ... da würde sich ja immer noch ein kleines Plätzchen finden lassen.

Was aber hatte es mit der ominösen Schlangengiftpumpe auf sich ?
Wie schwer bzw. wie groß mochten 2 Lichtsignalstäbe und eine Notrakete sein ?
Glücklicherweise entpuppten sich diese Dinge später als kompakte und unkaputtbare, ganz sicher Jahr-3000-kompatible leichte Plastik-Bauteile, vor deren Benutzung ich im normalen Leben ebenso sicher zurückschrecken würde.

Aber fehlte denn da nicht noch etwas ?

Ja, natürlich ... es durfte ‚etwas mehr‘ sein: eine Sonnenbrille z.B. erschien augenblicklich sinnvoll. Mütze, Sunblocker und Blasenpflaster fast zwingend, auch wenn die veranstaltende Atlantide Organisation diesbezüglich gar nichts sagte, schon aus Rücksicht
auf die sonnengegerbten aus Nordafrika und Jordanien daselbst stammenden Laufteilnehmer vom Typ maghrebinische Kampfgazelle.
Die brauchen so etwas nicht.

Von allen gebraucht wurde jedoch ein Belastungs-EKG (erstellt binnen eines Monats vor Rennbeginn), welches die grundsätzliche Teilnahmetauglichkeit nachweisen sollte.

*

Zu dem Zeitpunkt, da ich versunken dem Sand
durch die Eieruhr der Marriott-Hotel-Sauna folgte, waren noch immer nicht alle Renn-Überlegungen abgeschlossen.
Mein Hausarzt hatte EKG und grünes Licht, zwei Sponsoren dazu das nötige Kleingeld, Verwandte, Freunde und Bekannte 1000 gute Wünsche mit auf den Weg gegeben.
Zweifel blieben.

Trotz 3er Marathon-Trainingsläufe in den 5 Wochen davor war ich mir der besonderen Anforderungen bewußt. Entfernung, Rucksackgewicht, das Klima, der Sand ...

Als der nach 15 Minuten durchgerieselt und mein Körper gut durchgebacken war, hatte ich endlich auch die wohl wichtigste Entscheidung getroffen.

Ich hatte zwei meiner Laufsportgeräte mitgenommen. Meine alten, gut eingelaufenen Trailschuhe und dazu brandneue, auf den Fuß angepaßte und mit meinem Spitznamen bestickte Shakal-Ryan-Schuhe. Eine gute Nummer größer als meine sonstigen Laufschuhe, waren diese nur etwa 20 km eingelaufen worden, und wirklich wohl fühlte ich mich darin nicht.
Anke hatte jedoch empfohlen, größere zu benutzen, da die Füße in der Wüste nach einer gewissen Zeit extrem stark anschwellen würden.

Schlußendlich trug ich quasi beide Paare.
Gleichzeitig.
Die kleineren Einlagen der gewohnten Geländelatschen in den mir nun noch riesiger vorkommenden neuen Trailschuhen.

Auf was für Ideen man beim Betrachten einer Eieruhr kommen kann ...

Die Entscheidung sollte sich noch bezahlt machen.

Diverse andere hatte ich schon Zuhause in Deutschland aus dem Bauch heraus getroffen:
Wechselsocken - ja ...
Wechsel-short - nein;
Buff (man könnte dieses Windtuch auch als Michael-Jackson-Anti-Alles-Kondom bezeichnen) - ja ...
Gamaschen (damit von oben kein Sand in den Schuh eindringt) - nein;
Walkman und dazu neu aufgenommene Kassetten passend zum Thema – ja ...
Fotoapparat - nein.

Beide Uhren durften mit (meine Vectoruhr mit Kompaß mußte es als Pflichtelement ohnehin, eine zweite sollte Zwischenzeiten stoppen und im Logbuch speichern) ...
dafür die Schlafkomfortmatte von vornherein im Schrank bleiben.

Eine kleine eigene Hausapotheke schleppte ich durch, obwohl medizinische Betreuung seitens der Organisation durch die ehrenvollen sog. doc trotter gewährleistet sein sollte. So haben auch Voltaren-Gel, Latschenkiefer-Öl, Hirschtalg Fußcreme, zwei Kniebandagen und diverse Aspirin-Tabletten ungenutzt die Wüste kennengelernt.

Als ich meinen Rucksack mit allen Pflicht-, Kür- und einigen hirnrissig-überflüssigen Sachen schon in Berlin kompaktgepackt hatte, ahnte ich nicht, daß mir eine besondere Überraschung in Jordanien bevorstand:

Problem Nr. 3 – das Rennen begann nämlich schon vor dem Startschuß ...

*

Amman, 02.11.2002.
Nach einer ersten jordanischen Nacht und einem herrlich unspektakulären Fitness- und Saunatag stehe ich wieder zufrieden entspannt am wenig spannenden Airport und warte auf die leicht verspätete Maschine, die das Gros der 24 deutschsprachigen Läufer nach Jordanien einfliegt. Erste Aufregung, als das Gepäck des kurzfristig für die Erstellung einer Joey-Kelly-Reportage angereisten Journalisten nicht vollständig mitgekommen ist. Christoph trägt es mit Fassung, es ist erst der 02.11., also bis Rennbeginn noch 3 Tage Zeit.
Während der Stadtrundfahrt am folgenden Morgen frage ich mich, warum Amman ein touristisch so randbedeutendes Dasein fristet. Hier muß man gewesen sein, es entsteht schnell der Eindruck, daß Beton hier geradezu erfunden wurde.

Steine aus architekturgeschichtlich bedeutenderen Zeiten sind nur wenige übrig, nach zwei Stunden brütender Hitze im typischen Millionenstadtstau zu Wochenarbeitsbeginn hat auch der Minibusfahrer welche gefunden. Gleichwohl sich die Begeisterung darüber in Grenzen hält, sind wir erst nach Besichtigung des ehemaligen Amphitheaters erlöst und sitzen bald am Nachmittag endlich im großen Bus nach Petra zum Startort des Rennens.
Dieser muß noch Teile des französisch-jordanischen Organisationskommitees aufsammeln, deren Hotel sich ganz nah schon oben nicht näher beschriebener alter Steine befindet.

Amman läßt einen wahrlich nicht mehr los.

Auf der Busfahrt nach Petra werden wir zum Ausgleich mit der Anwesenheit des Meisters persönlich beschenkt.

Der Franzose Patrick Bauer (sprich: Pattrikkk Bauäärrr) hatte in seiner ganz persönlichen Midlife-crisis einst kurzerhand ein 30-Liter-Faß Wasser geschultert und war damit durch die Sahara gezogen, in der Hoffnung, Sand und wüste Weite mögen seine Sinne läutern.
Er fand Menschen, die es mit ihm gemeinsam in den Folgejahren nachtaten und läute(r)te so die Geburt des ´Marathon des Sables´ ein, die alljährlich im April in Südmarokko ausgetragene noch berühmtere Schwesterveranstaltung des Desert Cup.

Wer hätte vor fast 20 Jahren auch vermutet, daß aus diesem Sandkern eine Art Paris-Dakar für Fußgänger würde - mit dem 1999 manifestierten Folgegedanken, statt 230 km an 6 Tagen zur Abwechslung mal 168 km an einem Stück zurückzulegen.
Zwischen dem Wadi Rum(gesprochen Rraam) und Petra. Der Desert Cup war geboren. Und der Initiator ist als ´Gentil Organisateur´ und Profiteur immer noch mit Begeisterung dabei.

Laufen ? Das überläßt er inzwischen Anderen.
Er hat sein Puder im Trockenen.
Und ich ein wenig Musik:


Delerium - Lamentation
(so gross wie die Wüste)

Ein Weisung

Als Desert Rookie (blutiger Anfänger) bekomme ich nach kurzvormitternächtlicher Ankunft in der Wüste nahe Petra nur noch den besten Platz im Beduinenzelt. Direkt an einem der Eingänge. So bin ich zwar im Notfall (welcher Art auch immer in dieser Ecke der Welt) schnell draußen, der feine Sand von draußen aber auch zuerst bei mir.
Und er meldet sich gleich in der ersten Nacht reichlich. Paniertes Schnitzelfeeling pur.
Da hilft auch die bis zum Morgengrauen aus allerlei Einzelteilen meines Gepäcks sukzessiv zusammengestellte Barrikade wenig.

Schon an diesem Vormittag müssen wir unser Gesamtgepäck auf Marschausrüstungsgröße reduzieren.

Beim Gedanken an eine weitere Nacht an derselben Zeltstelle, dann ohne Gepäckschutz vor der Sandstrahldüse, in kühnsten Alptagträumen gar potentiellen Skorpionattacken hilflos ausgesetzt, wird mir bewußt, daß das Rennen eigentlich schon längst begonnen hat.

Ab sofort wird alles wichtig. Die im Rucksack mitzuführenden Dinge erhalten praktischen Nutzwert.

Wer sich vorab für den leichtesten aller möglichen Schlafsäcke entschieden hat, nach dem Motto ´ich muß unterwegs eh nicht schlafen´, kann die Funktionsweise von nur 370 Gramm Daune quasi im real life player mitverfolgen.
Wer aus Gewichtsgründen auf eine lange Hose (nicht vorgeschrieben) verzichtet hat, bekommt nun Gelegenheit, sein Temperatur-Empfinden um überraschende Wüstennuancen nach unten zu erweitern.
Auch stellt an diesem 04.11. das Organisationsteam die letzten Mahlzeiten, das Frühstück vor dem Start am 05.11. muß bereits aus eigenen Ressourcen bestritten werden.
Was also esse ich morgen früh noch - was ist sicher zuviel ?

Es tauchen plötzlich Fragen auf, mit denen ich mich nie beschäftigt habe:
Was mache ich mit den Schuhen, die ich heute trage, morgen ? Erneut tragen, aber dann schwer im Rucksack ? Welche Kleidung ziehe ich an ? Heute schon das, worin ich morgen laufen will ?
Möglichst vorher noch mit Nudelsauce eingekleckert ?
Die armen Sponsoren.

So ein Beduinencamp hat was. Toiletten hat es keine. Und wer nicht an Papier als ´Kürmaterial´ gedacht hat, lernt hinter entfernten Felsen auch die arabische Körperpflege aus erster, möglichst linker Hand kennen.

zensiert

Vor der eigentlichen Kontrolle gibt es ein kurzes Breefing, dem beizuwohnen aber weder vorgeschrieben noch sonderlich erquicklich sein soll.
Die Organisation gibt letzte Tips und Hinweise zu Ausrüstung, Strecke, etc.
– alles schon bekannt, so der allgemeine Tenor.
Nicht ganz, wie sich 2 Nächte später herausstellen wird ...

Beim weiteren Auseinandersortieren meiner Ausrüstung achte ich vor allem auf Gewicht, gehe auch das Risiko einer ungemütlicheren Nacht vor dem Start ein, nur um ja kein verzichtbares Kilo schleppen zu müssen.

Und werde immer noch zuviel mitnehmen.

Zur Kontrolle von EKG und Pflichtmaterial finden sich alle in Reihenfolge der Startnummer ein.
Koffer, Taschen und all die touristischen Großgepäckstücke werden separat gesammelt, Notrationen versiegelt, perforierbare Plastikkarten ausgegeben, welche zum Abknipsen an jedem der entlang der Strecke aufgebauten checkpoints gedacht sind; dazu erhalten wir zwei der zum Glück sehr leichten ca. 20 cm langen Leuchtstäbe zur nächtlichen Befestigung an den Laufrucksäcken, welche nun zugleich stichprobend auf ihren Zwangsinhalt begutachtet werden.
Die Notrakete sollen wir erst beim neunten Etappenzelt bekommen, auch der Veranstalter möchte uns überflüssiges Tragen ersparen.

Beim Blick auf die Ausrüstung anderer, sozusagen der Profis, bin ich unsicher, ob die wirklich dasselbe vorhaben oder nur schon mal mit Handtasche bzw. etwas zu großem Portemonnaie zum Souvenirshopping in das knapp 10km entfernte Petra City aufbrechen. Genau dorthin werden wir nämlich samt verbliebener Sturmbaggage zu Mittag entlassen, um die Relikte der einstigen Nabatäer-Hochkultur vor dem Rennen noch aus nächster Nähe bestaunen zu dürfen.

Petra, ´die Erhabene´ so rosarote Felsenstadt beeindruckt unbeschreiblich, das Gelände ist jedoch derart riesig, man müßte Tage staunen, wollte man wirklich alles gesehen haben.

Ein wenig in Sorge, ob 12 km antikes Herumwandern den Muskeln zu- oder abträglich sind, bin ich nach einem schönen, ereignisreichen Tag und abendlicher Pastacouscousparty immerhin müde genug, bald in 1001 Nacht zu entschlummern; dank des wirklich ausgezeichneten arabischen Wüsten-Buffets mit Träumen von Beduinen, die mich freundlich ins Ziel rollen. Die Glykosespeicher sind randvoll. So soll es sein. Es kann losgehen.

Mögliche Skorpion- oder Schlangenattacken sind vergessen, die Entgiftungspumpe, mit der man im Notfall Schadensbegrenzung im Blut-Selbstpumpversuch betreiben können soll, ist ganz zu unterst verstaut. Wer nicht wagt ...

Und der Sand ?
Gehört ab sofort ganz einfach dazu.

*

Das Rascheln am Morgen vor dem Rennen beginnt früh. Es ist noch dunkel.
Sicher sind alle aufgeregt. Jens bleibt liegen.
Zeitige Morgentoiletten im Dämmerlicht sorgen für Magenplatz für ein letztes individuelles Frühstück, widerspenstige Schlafsäcke für erste Flüche.
Jens bleibt liegen.
Cremes werden geschmiert, Brustwarzen-Pflaster befestigt, Batterien von Kleinbild-Fotomaten und Akkus von Mobiltelefonen überprüft.
Jens bleibt liegen.
Nach 15 wilden Einrollminuten verschwindet endlich auch einer der schwierigsten Schlafsäcke im Marschgepäck seines Besitzers.
Müslis werden angerührt, Brot und Dauerwurst hervorgekramt.
Irgendwo kocht heißes Wasser.
Aus dem jordanischen Nachbarzelt klingt deutlich, wo wir uns jordanisch befinden.
Jens bleibt liegen.
Schmatzen allenthalben, erste Probegepäckträger turnen ums Zelt. Startnummern werden abgemacht und noch mal neu befestigt. Mit Sicherheitsnadeln. Erst im Finger, dann am vorgeschriebenen Ort.
Jens bleibt liegen.

Um 07h30 werden die Busse, die uns zum eigentlichen Startplatz kutschieren sollen, hinter den Hauptzelten bereitstehen. Um 07h10 sind die meisten schon dorthin unterwegs:
´Jens ?´
´Jens ?!?!´ – Müht sich grummelnd, murmelnd aus seinem Schlafsack.
Nur nicht hektisch werden.

Um 07h35 sitzen alle gespannt im Bus, auch Jens. Ihm als passioniertem Motorradfahrer, der normalerweise mit seiner Maschine den Sand der Welt-Wüsten pflügt, fehlte offenbar die morgendliche Werkelei am Arbeitsgerät. Ein Paar Sportschuhe sind eben schneller betriebsbereit als eine Enduro.

Petra City - Luftwürste signalisieren die Startlinie.
Letzte Gruppenfotos werden geschossen. Wasserflaschen randgefüllt.

Trotz der spürbaren Anspannung herrscht eine nette, schon freundschaftliche Stimmung, man scherzt miteinander und Monsieur Bauer wünscht allen, was er allen wünschen muß.

Startschuß!


Ein Lauf

KM 0


Es ist endlich Dienstag, der 05.November 2002. 08h45.

Das gut 230 Teilnehmer umfassende Feld setzt sich leicht verspätet respektvoll langsam in Bewegung.
Respekt vor der Distanz. Respekt vor der surreal ansprechenden Schlucht-Schönheit, die schon bei etwa km 1 beginnt.

Der Siq in Petra, das gerade mal angelaufene Körperkraftwerk mit tausend warmen Farben locke(r)nd - von sonnengelb über trekkinghosenbeige bis toastverbrannt, mal hockerbraun, dann kaminrot - gehört zu den ganz besonderen Wunderwerken der Natur.

Hier Linien, wie von Kinderhand gemalt, dort turmhoch Klötze, daß ein Bauherr staunt ... denn der größte Bauherr wohnt irgendwo oben dort, wo das Licht herkommt, welches hier unten kaum mehr den Weg zum Boden findet. So klaustrophobisch eng wird der Canyon, daß ein gleichzeitiges Abstützen zu beiden Seiten möglich scheint.
Allah kleckert nicht.

Hollywood kleckert auch nicht. Die Schlußsequenz des berühmtesten aller Abenteuerfilme, der Indiana-Jones-Saga dritter und letzter Teil (´The Last Crusade´ - der letzte Kreuzzug), ließ Sean Connery und Harrison Ford durch diese Szenerie reiten. Ganz sicher, trotz James Bond und Krieg der Sterne :
beide werden diesen Moment ebenso wie ich immer in der Seele tragen.

Am Ende der Schlucht schufen Nabatäerkönige noch vor Christi Geburt eine Stadt aus Stein; mit Amphitheater, zahlreichen Wohn- und Grabstätten ... und dem legendären Khazne Faraun, dem noch heute verzaubernden 40m hohen pharaonischen Schatzhaus, dessen Sechs-Säulen-Fassade gleich einer Fata Morgana bei km 2 auftaucht.

Froh, dies alles am Vortag beim touristischen Spaziergang mit der gebotenen Zeit und Muße genossen haben zu dürfen, reihe ich mich bei km 2,5 am Fuße einer 570stufigen Treppe in die himmelwärts strebende Läuferkarawane ein. Am Ende der Treppe heißt uns ein Begleithelikopter auf einem Petra umflankenden Hochplateau willkommen und reißt uns rotorenlärmend aus allen antiken Träumen.

Die Strecke wird nun Schotter, gerade so, wie man Weg aus heimischen Baugruben kennt.
Ich fühle mich gut, auch wenn mich etwa bei km 5 zum ersten mal so etwas wie eine Ahnung zu erwartender Trockenheit und Temperaturen umfängt.

Manfred überhole ich kurze Zeit darauf und zögere, ob ich nicht zu schnell bin, denn als ein guter und erfahrener Ultramarathoni weiß er sicher besser, wie Kräfte sinnvoll über eine derart lange Strecke einzuteilen sind. Andererseits habe ich keine Ahnung, wer nun so alles vor oder hinter mir läuft, ja nicht einmal, ob ich gerade Zehnter, Hundertzehnter oder Zweihundertzehnter bin.
Egal, mein Ziel ist ‚Ankommen‘. In 48 Stunden.

Ungefähr bei km 7 besteht urplötzlich Orientierungsbedarf.
Der Weg ist weg.

Ein quietschgelbes Leuchttrikot weit über mir verweist darauf, daß statt Laufsport ab sofort Geröllhalden-Klettern angesagt ist. Nette Geste des Veranstalters.


KM 8,5

Nettere Geste bei Checkpoint 1 (CP 1). Wasser wartet auf durstige Kehlen, mindestens wird es zum Auffüllen zur Neige gegangener Flaschen-Vorräte benötigt.
Auch nett: die weitere Strecke führt zunächst auf einem Bürgersteig mit wahrscheinlich deutsch produzierter Regelkästchen-Struktur an einer Hauptstraße entlang. Den Autoverkehr gestalten dabei überwiegend Taxis mit angereisten Verwandten, Freunden und jubilierenden Fan-Gruppen, sowie Fahrzeuge der veranstaltenden Atlantide Organisation und der Medien.

Waren wir farblich zuletzt zwischen Honigtau, Schokolade und Pfirsichpuff unterwegs, dominieren nun Papayawhip und Mokkasin, zur rechten erinnert der Blick über die weite Landschaft zunehmend an den feuchtlosen amerikanischen Canyon-Westen.

Und unter den Füßen zählen die Kästchen rhythmisch dahin.

Willkommene Abwechslung, da wir mit km 14 auf Feldweg wechseln. Für die folgende Stunde werden wir mit kläffenden Hunden und verschmitzt leicht verschmutzt freundlich aus Wohn- und Schulhäusern zweier kleiner Dörfer winkenden Kindern beglückt.
Wo der Hund begraben ist ... kläfft er nicht mehr.

Ein Blick auf meine Uhr verrät mir bei CP 2: gut 2 ½ Stunden für den halben Marathon.
Wie werden wohl wie nächsten sieben Halben ?

Im Folgenden wellt sich die Route sukzessive bergan, fordert nachdrücklich erste Temporeduktion. Bisweilen sind bei steileren Passagen auch schon Schritte statt Sprünge angeraten. Den höchsten Punkt der gesamten Strecke auf ca. 1500m ü NN erreiche ich denn auch als Fußgänger nach 4 Stunden und 10 Minuten.


KM 33,5

Aufgezogener verdichteter Dunst hatte kurz zuvor gar einige Tropfen auf Läuferhäupter regnen lassen.
Erfrischend.

CP 3 könnte man auch als Camp 3 bezeichnen, kamelhaardecken-bedachte Araber-Teppiche laden ein, für Momente der Entspannung zu verweilen. Momente, in denen ich mir ein Drei-Müsliriegel-Lunch gönne und meinen ersten Kohlehydrate-Drink anmixe, der ab nun statt Wasser pur meine Trinkflasche füllt.
Angenehm.

Beim Blick auf die mit jeweiliger Startnummer versehenen 1,5 Liter Flaschen realisiere ich, daß ich recht weit vorne liegen muß, denn mehr als etwa 20 leer zurückgelassene Flaschen sind nicht auszumachen.
Toll.

Voll nimmt eine so große Flasche kaum ein Läufer mit auf die Reise, denn erst am nächsten CP wäre Entsorgung erlaubt. Wegschmiß neben die Strecke hätte aufgrund der Numerierung empfindliche Zeitstrafe für die zweifelsfrei feststellbare Umweltflasche zur Folge.
Sauber.

Die Camppause dehnt sich zu einer guten halben Stunde, zwei etwas wunde Fußpunkte versorge ich prophylaktisch mit meinen Blasenpflastern und das Aufstehen dauert nun schon eine Minute.

Eberhard, Guido, Joey, Manfred und einige andere mehr sind jetzt sicher voraus, weil deren Stop bei CP3 zumeist kurz ausgefallen ist.

Überwiegend führt die Strecke ab hier bergab, dennoch habe ich Schwierigkeiten, wieder in Tritt zu kommen. War die Pause zuu lang ?

Erste Gedanken an Aufgabe bereits bei etwa km 42. Marathon zwar geschafft. Ein Viertel Lauflust gestillt. Drei Viertel unbekanntes Terrain aber noch vor mir.

Ich denke an meinen bislang einzig bewältigten Ultralauf zurück und richte mich an der Tatsache auf, daß ein jeder Marathoni ein Tal der Leiden durchwaten muß, rechne mir aus, daß auf 168 km vermutlich einige Täler warten.
Am Rennsteig waren es auf 75 km deren zwei.

Vorbei.

Hier und jetzt merke ich, daß ich nicht mehr überholt werde, sondern wie von selbst ins Rennen zurückfinde.
Nur CP 4 finde ich nicht.

Das wegbeschreibende road-book mag ich nicht rauskramen. Seit CP 3 ist es unten im Rucksack verstaut, weil ich nicht den Eindruck hatte, mich verlaufen zu können. Solange vor mir in der Ferne noch menschliche Bewegung bemerkbar ist, würde eigentlich kein Grund zur Sorge bestehen, wäre meine Wasserflasche nicht seit 2 km leer.

Ich gehe auf die 50 zu und denke darüber nach, ob Orientierungssinn eine Frage des Alters ist.

Weiße Beduinenzelte stellen sich als jordanisch bewohnt heraus und plötzlich sind auch keine Läufer mehr zu sehen.
Gerade als ich mich zum Auspacken zwingen will, tauchen am Horizont tibetische Gebetsfahnen auf. Beschriftet mit dem Hauptsponsor des Desert Cup wehen diese offenbar neben jedem CP. Und signalisieren an dieser Stelle, daß die längste Teiletappe geschafft ist.

Nach nur kurzer Pause bei km 49 laufe ich bald mit Daniel, einem freundlichen Feuerwehrmann aus dem Rheinland, der im Zuge der Vorbereitung ebenso wie ich den Köln Marathon Anfang Oktober gelaufen war, er jedoch mit Rucksack.

Mit seiner Bestzeit kann ich bei weitem (noch) nicht mithalten und so lasse ich ihn vor mir auf immer sandiger werdender Piste in den spektakulären Sonnenuntergang hineinziehen.


KM 62,5

Zwei aufschließende brasilianische Burschen bieten mir Kartoffel-Chips an, dankend greife ich herzhaft zwei mal zu, denn meine Nahrung besteht nur aus Süßzeug-Energie.

Dauer-Bar Typ Spinat-Möhre, Maximal-Riegel mit Knoblauch-Schinken-Geschmack oder Skwiesie mit Lachs im Basmati-Reisrand, das wären sicher Marktlücken für Sportlernahrung.

*

Es ist bereits dunkel, als ich in Camp 5 wieder auf Daniel treffe.
Auch Eberhard und Guido sind schon dort angekommen. Dazu einige ruhebedürftige Gestalten, die sogar ihren Schlafsack für ein kurzes Nickerchen nach Erreichen eines guten Drittels der Gesamtdistanz ausgelegt haben. Andere kochen hier zu Abend, da ausnahmsweise 3 statt 1,5 Liter Wasser ausgegeben werden.

Nach 2 weiteren Müsli-Power-Riegeln und einigen Umpack-Übungen habe ich meine Lampe an der Stirn und mache mich mit Daniel auf den langen Weg durch die Nacht. Kurz darauf sind wir zu dritt. Manfred, der Zweimeter-Franke, hat uns eingeholt und begibt sich mit seinem raumgreifenden Schritt vor uns.

Ungefähr bei km 68 spüre ich plötzlich heftigsten Durchfalldrang ... und muß ...
wieder einmal zurückbleiben. Seit einigen Kilometern sind wir ohne erkennbare Piste nur noch durch Sand gelaufen. Ein Loch zu graben fällt insofern nicht schwer.
Mit wackligen Knien zielzusch... dafür um so mehr.

Wieder sauber und um Einiges erleichtert folge ich einer Lichterkette, die sich erstaunlicherweise auch fast waagerecht aufreiht.
Alle Teilnehmer müssen zur Nacht außer der Lampe aus ihrer Pflichtausrüstung einen weithin erkennbaren gelben Phosphor-Lichtstab am Rucksack tragen. Streckenmarkierungslichtstäbe, welche die am Tage im Abstand von etwa 300m bis 500m vom Organisator an Sträuchern und im Sand versenkten Holzpfählen erkennbaren Wegfähnchen ergänzen, spielen hingegen mehr ins Grünliche.
Wer nun mir einen Streich spielt (die Augen ? beleuchtete Beduinen ? andere Läufer ?) kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Fakt ist, Lichter bewegen sich rechts neben mir, links und rechts und gerade voraus ... und auch links hinter mir.
Sonst ist es stockdunkel.

Verdichtete Lichtergruppen lassen sich bald halbrechts ausmachen, so daß ich dort CP 6 vermute.

Eine viertel Stunde später wundere ich mich über die Geschwindigkeit so mancher Lichter. Und die bewegen sich immer noch nicht gleichrichtend gerade voraus sondern inzwischen sogar scheinbar hin und her !?

Ein Blick auf das nun doch fällige road-book und meinen Kompaß sorgt für weitere Verblüffung : ich laufe völlig falsch ?! Viel zu weit nach rechts ?!
Allah ! Wer aber sind dann die, die noch weiter rechts unterwegs sind ?

Kompaß geschüttelt, zwei mal gedreht, ich muß schon Halluzinationen haben.
Mehr als 10 Stunden bin ich nun unterwegs.

Der Entscheid fällt nach Kompaß und road-book, wo von Peilung 176° Süd zu lesen ist.
Also halte ich mutig erst mal ins schwarze Nichts halblinks und verstehe den Sinn der Notrationen im Rucksack.

Rote Lichter tauchen auf und mischen sich unter die inzwischen tanzenden gelben, grünen und weißen ... Mäuse.
Stur auf Peilung 176° harre ich gefaßt einer Auflösung des bunten Treibens.

Anfang November ist heiliger Sankt Martin.
In Deutschland jedenfalls.
Machen vielleicht jordanische Schulklassen nächtliche Lampionausfahrten zu Ramadan-Beginn ? Wenn, dann tun sie es mindestens mit Fahrrädern, denn das Tempo der rechts-links-rechts-links-spukenden Lichter hat weiter zugenommen.

Mit Mopeds ? Autos gar ?

*

Al-Quweiba begrüßt Fernfahrer mit Festbeleuchtung.
Ultramarathonis tun gut daran, Städte an Hauptverkehrsachsen des Landes nicht mit funzelbeleuchteten checkpoints zu verwechseln.

Sandwüste ab km 64 stand in der Ausschreibung. - Paah !
Kurz nach CP 6 komme ich mir vor wie an der A1 zur rush hour !


KM 75,5

Schuhe geleert, Wasser neu aufgenommen (für die nächste Etappe vorsichtshalber mal wieder ohne Zusätze) suche ich gerade nach der im road book erwähnten Brücke, unter der ich die Hauptstraße gefahrlos queren können soll.

Inzwischen ist ob der frisch gewordenen Temperaturen meine Windjacke übergestreift, wofür ich mir vom Ordnungspersonal beim Abknipsen meiner Kontrollkarte den entsprechenden Anschiß abholen durfte.
Natürlich hat niemand Lust, die Startnummer vom T-shirt aufs Jäckchen umzudrapieren, man sollte sich nur nicht dabei erwischen lassen, die Startnummer gänzlich zu verdecken.
Schließlich sollen auch LKW-Fahrer auf zufällig die Laufstrecke kreuzenden Autobahnen erfahren, welcher Sponsor so eine Nummer unterstützt.

*

Die Lokomotive heißt Jean-Claude.
Bald komme ich mir vor wie ein Kohle-Tender. Mitlaufen und anfeuern ist alles, was ich kann.
Der kleine Franzose hat mich kurz vor der A1 eingeholt und legt einen Stakkato-Schritt der Sonderklasse vor. Der Sand ist nur noch marginal von Strauchwerk durchsetzt und Jean-Claude weiß als Küstennormanne genau, daß neben den Spuren der schon durchgegangenen schneller ist als darin.
Ganz übel ist dran, wer sich durch die von den Organisationsfahrzeugen gezogenen Jeepspuren müht.
Diese Jeeps fahren in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zwischen den CPs hin und her und dabei den Sand so plattweich, daß ein vierter Aggregatzustand zwischen fest und flüssig benannt werden müßte.
Ärzte und –innen sehen nach dem Rechten, fragen die Läufer, wie es geht.
Keine/r soll unterwegs wegsterben müssen.

Zumindest nicht unbemerkt.

´Ca va ?´ –
´Tres bien, merci.´
Merci ?! – Franzosen sind höfliche Menschen. Sie bedanken sich dafür, daß sie todmüde in dunkler Nacht durch Wüsten am Rande der Zivilisation (oder zumindest der Autobahnen) ziehen und für diese Tortour plus minus 2000 Euro zahlen dürfen.
Mir ist aktuell mehr ´Oh la la, so la la´.

Denn Jean-Claude zu folgen ist gar nicht so einfach, großartig unterhalten können wir uns auch nicht. Ich bin ihm zu deutsch, spreche zu wenig französisch ... und er noch weniger als ich.
Er funktioniert einfach nur noch, das aber prima. Richtig prima, wie ich bei km 88 in CP 7 nach einem Blick auf die Stoppuhr feststellen kann. Keine 2 Stunden Sandspeedtrekking mit Rucksack für fast 13 km.
A la bonnöhr. Oder so ähnlich.

Das beste: Camp 7, pittoresk an einem Rundbogen aus Stein aus besonders viel Tuch und Teppich aufgebaut, ist ein offenbar besonders begehrtes Nachtlager. Hier schlafen so einige, aber mir ist dank Jean-Claude die Müdigkeit vollständig aus den Gliedern gewichen.
Rituelles Schuhe ausleeren, Pflasterwechsel, zwei weitere (würg)Riegel futtern, schnell noch etwas Kohlehydratpulver in der nachgefüllten Flasche auflösen ... und weiter geht‘s.

*

Mein Ehrgeiz ist endgültig geweckt.
Nach nur 15 Minuten verlasse ich Schlaflager 7 Richtung Nr. 8 und das sichere Wissen, nun schon mehr als die Hälfte geschafft zu haben, beflügelt zusätzlich. Kilometer 23 beim Marathon mag ich auch immer besonders gern.

Eine halbe Stunde weiter setze ich zu einer Überholung an. Es ist die Lokomotive. Nur wird jetzt Jean-Claude seinerseits zum Kohle-Tender.

Inzwischen merke ich auch, wie gut die maßgeschusterten Schuhe passen. Meine Füße sind tatsächlich beträchtlich dicker geworden und die Schmirgelsandpapierschicht zwischen Haut, Strumpf und Schuh mithin etwas dünner. Es steht sogar zu befürchten, daß nur eine Nummer größer als üblich zum Ende hin eng werden könnte.

Einstweilen aber gilt es, das gute Gefühl in Kilometer umzusetzen.


KM 99

Camp 8 liegt an einem ausgetrockneten Salzsee. Ich bin seit fast 16 Stunden auf Tour, es ist schon nach Mitternacht.

Erneute Entsandung, sehr kurzer Stop. Ich packe meine Geheimwaffe aus, zumal ich meinen neuen französischen ami und pacemaker unbemerkt ‚verloren‘ habe.
Ist Jean-Claude voraus ? Zurück ?
Ich weiß es nicht, bereite mich einfach auf innere Einkehr vor.

Bei Ankunft waren Guido und Eberhard gerade aufgebrochen, den Salzsee zu durchschreiten. Geheimbewaffnet folge ich etwa 10 Minuten später in die Finsternis.
Meine Mütze habe ich abgenommen, um den überwältigenden Sternenhimmel gebührend würdigen und inhalieren zu können.

T.E. Lawrence of Arabia: ´Man konnte die Landschaft nur noch ahnen ... Die Phantasie versuchte, den Aufbau ihrer Zinnen und Wehre sich aus den dunklen Linien
zusammenzufügen, die sich gegen den sternebesäten Himmel abzeichneten. Die Schwärze um uns war beinahe greifbar. Es war eine Nacht, in der Alles stillzustehen schien.´

Außer mir selbst. Und diversen Sternschnuppen. Eine besonders eindrucksvolle verrät mir meinen einzigen Wunsch: ich schaffe es gesund ins Ziel.
Wie auch immer.

*

Zum Teil führt die Route nun durch Dünen.
Bisweilen ist kaum auszumachen, wo genau es am besten und kraft-ökonomischsten weiter geht.
War da nicht gerade ein Geräusch wie das einer sandsausig sich windenden Schlange ?
Egal.

De-Phazz meint: ´The Orchestra Is Getting Ready´, und wahrhaftig, aus meiner Geheimwaffe hallt mir Filmmusik aus meinem Geburtsjahr ins Ohr, welche Maurice Jarre für Hollywood’s Monumentalschinken zu Leben und Werk des ‚Lawrence of Arabia‘ komponiert hat :

´Rescue Gasim And Bringing Gasim Into Camp - Overture II´.



Hmm.
Wer rettet (desert) shakal ryan und bringt ihn ins Camp ?, frage ich mich, als ich im Abstieg aus einer Düne fast in ein Braunes-Etwas-Loch plumpse. Viel später wird bekannt, daß sich an diesem Matschgraben so Manche/r verlaufen hat. Beim wenig besuchten Breefing am Tag vor dem Start war beiläufig erwähnt worden, daß an einer bestimmten Stelle ungewöhnlich heftiger Regen (!) einen dieser ausgetrockneten Salzseen in eine Schlammwüste verwandelt hätte. Mitten in einer sonst reichlich sandigen und üblicherweise trockenen Umgebung.
Komische Wüsten haben die, die Jordanier.

Mit Autobahnen.
Ja sogar mit Bahnlinie.
Die einzige des Landes ist ein allenfalls noch zu touristischen Festzwecken benutztes Relikt aus Laurenz-Tagen.

Das road-book befiehlt und ich folge der Bahnlinie bei km 105. Rechter Hand soll sich kurz danach irgendwo ein Paß Richtung CP 9 befinden. Der ist zwar nicht zu entdecken, dafür aber Lichter auf der anderen Seite der Geleise.
´Crossing railway line´ übersetzt sich eben gerade nicht mit ´Folgen der Bahnlinie´.

Die Lichter weisen den rechten Weg Richtung CP 9 zu Füßen des mir auch heute noch unbekannten Jebel Hassani. Die meisten der arabischen Berge, die als Jebels durch das road-book spuken, bleiben des Nächtens verborgen.
Ich könnte die Notrakete abfeuern, die mir das Kontrollpersonal bei km 109 zur Begrüßung in die Hand drückt. Dann würde ich Hassani kennenlernen. Aber garantiert nicht das Ziel.
Abfeuern der Rakete hätte nämlich sofortige Disqualifikation zur Folge

Eberhard fragt, ob ich ‚Die Schweizer‘ gesehen hätte.
Wenn ich zu so später Stunde jemand begegne, dann nur noch in den Camps.
Essend. Trinkend. Schlafend.
Mit Ausnahme der französischen Lok ist mir ansonsten seit 5 Stunden auf der Strecke selbst niemand mehr über denselben Weg gelaufen.

Wieder ziehen Eberhard und Guido davon, als ich mich gerade niederlasse. Die Frage läßt irgendwie auf einen kleinen internen Wettkampf schließen. Vorsichtig frage ich an der Wasserstelle nach, wie viele denn schon durch sind.
Ach, 30 oder 35 nur?
Die schnarchende Geräuschkulisse läßt nun wirklich extragute Plazierung erhoffen. Solange ich von der Umgebung wenig bis nichts außer einem grandiosen Sternenhimmel zu sehen bekomme, kann ich mich sputen ohne allzuviel zu verpassen.

Mit den nächsten Schritten bemühe ich mich, trotz des feinen Sandes zwischendurch also immer mal wieder zu rennen. Der nahende Morgen, unterdessen die wundervoll passend Flügelbeine machende Musik von Radar auf Arabica III im Ohr ...


Ich erreiche den von mir so sehnlichst herbeigewünschten Schwebezustand, in Läuferkreisen auch bekannt als ‚Runner’s High‘.

Keine Schmerzen, keine Müdigkeit. Stoppen unmöglich.

Meilen über Meilen über spektakuläre Landschaft fliegen und dabei einer Laufmaschine zuschauen, die angeblich der eigene Körper ist.

Kein Läufer hat es bislang geschafft, einem Nichtläufer die Faszination der Langstreckenbewegung auszumalen. Auch mir wird das nicht gelingen.
Es gilt, selbst herauszufinden, was es bedeutet, die berühmten Worte der Lauf-Ikone Emil Zatopek (Olympiasieger, u.a. im Marathon) ad absurdum zu führen:
´Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft´ ?

Mensch fliegt !
Ganz ohne Flugzeug. Ganz allein.
Ganz sicher.

Radar spielt dazu:
´Your Song´ und ´Distance´, ´Running Man´. – Wow !
´Nothing is real´.

*

Erste Sonnenstrahlen lassen Göttliches erahnen.
Jebel El Judaiyida und seine Felsvasallen zur rechten, zahl- und namenlose Granitkegel und Steilwände zur linken und voraus, beginnen in allen nur erdenklichen Rottönen aufzuleuchten.
T.E. Lawrence: ´Die Wüste mit ihren gewaltigen Felsmassiven war so beeindruckend, daß unsere kleine Karawane nachdenklich wurde und niemand mehr ein Wort sprach.´

Wahrhaftig. Niemand.

Wunderfülle mit einem klitzekleinen Problem:
die Landschaft, sie fordert eigentlich Stillstand ein. Sie ist zeitlos schön.
Bewegung findet sich nur in Licht.
Also, ´Follow the Glow´.

Bis CP 10 fasziniere ich mich noch durch, dann ‚geht‘ im Wortsinne und der Umgebung angepaßt nichts mehr.

KM 121

Ich muß mich geradezu zwingen, mal wieder profanen, vernunftbezogenen Dingen nachzukommen.
Statt Pflasterwechsel Pflasterverdopplung, in die Flasche einen Mineralien-Erfrischer.

Erinnerungen an Anke‘s Spruch werden wach. ´Die Strecke ist so lang, da mußt Du Dich auch während des Laufes erholen.´
Erholen ? Erholen !
Laufen als Erholung vom Alltag.
Derweil jede Bewegung im Innersten der Maschine ‚Aua!‘ schreit und die viel zu kurze innere Einkehr stört.

Essen mag ich nichts mehr, schlafen nicht, aufstehen erst recht nicht.

Nur noch ein Marathon zu laufen ... und ein kleiner Strandspaziergang dazu. Dieser Gedanke richtet auch nicht wirklich auf.

Nach 40 Minuten Pause raffe ich mich doch zusammen, nach weiteren 5 stehe ich sogar. Eine helfende Hand reicht mir meinen Rucksack, bücken ist einfach nicht mehr möglich.

In der Frische des frühen Morgens hatte ich meinen Microfleece-Pulli angezogen, weitere 15 Minuten gehen bei einer neuen Runde Kleiderpuzzel verloren, denn einen halben Kilometer nach CP 10 ist er schon wieder viel zu warm.

Und es sollte fortan richtig warm werden.

Hatten wir gestern durch teils dunstverhangenen Himmel wohl noch Glück gehabt, lassen gefühlte 25 Grad C. schon früh um 7 Uhr einen heißen Tanz durch die Wüste erahnen.
Um 8 Uhr fühle ich 30 Grad, und als ich bei km 130 zum Überholen des Kamel-Skelettes ansetze, mögen es fast 40 sein.
Fast 40 ... KM sind noch zu laufen, wohl eher zu gehen. Insh’allah !
Gerannt bin ich seit CP 10 gar nicht mehr.
Fata Morgana mußte viel zu zeitig Mutter Mittagshitze weichen.

Jean-Claude erreicht CP 11 wenige Meter hinter mir. Die Begegnung mit einer bekannten Seele, obschon ähnlich verloren wirkend, hat in diesen Breiten nach diesen Längen etwas Beruhigendes.

KM 139

Das gehöftige Gebäude links kann ich nicht recht einordnen. Landwirtschaftliche Versuche scheinen in diesem Winkel der Einöde wenig zweckmäßig, Viehfutter wäre auf singulär verteiltes Dörrstrauchwerk Marke Knusperstock reduziert, Ackerbau so ertragreich wie zwei Richtige im Lotto.

Halbrechts zu Füßen einer weiteren, diesmal bronzefarbenen Granitwand tanzen Derwische unter einem Baum. Durch gleißend flirrendes Mittagsirrlicht ist kaum zu erkennen, ob Beduinen ein Schwätzchen halten oder die berühmt-berittene Wadi-Wüstenpolizei den Behämmerten, die da laufend ihren Körper ausmergeln, herüberfeixt.

Hallo ! Ist da Jemand ? War da Jemand ?
War da ein Gebäude ? Aus Flug und Trug ?

Das road-book bietet nun spannende Lektüre :
‚Rechts den Hügel entlang, durchs Tal, links zum Hügel. Den Hügel entlang, dann kommt der Khash-Hügel. Links am Khash-Hügel entlang durchs Tal zum kleinen Paß. Rechts ein Hügel. Links ist es hügelig. Gehe Richtung 190°, weitere Hügel warten auf Dich‘.
Na toll.
5 Kilometer weiter wechselt immerhin mal die Himmelsrichtung um ein paar °.

Jebel, Jebel, Jebel.
Der nächste Läufer vermutlich Kilometer hinter mir, Jean-Claude vor mir schon lange meinen Augen entschwunden.

Hinter Hügeln. Wo sonst.

In meinen Schuhen der Sand von Millionen Jebels und Jahren.
Herbstzeitlos im Hochsommer.
Mit Füßen an den Blasen.

Die Eieruhr läuft.

In Camp 12 wartet bei KM 144 eine Kamera auf eher fertige denn fixe Wüstennomaden. Christoph rückt mich offenbar in Großaufnahme und macht aufmunternde Komplimente. Das tut gut.
Wieder Schuhe ausleeren, Wasseraufnahme.
Bei den Blasen hilft nur noch Schmerzmanagement, Pflasterwechsel überflüssig. Überdrüssig.

Stefan Schlett, einer der besten und bekanntesten deutschen Ultra-Läufer, äußerte einst:
´Wo Schmerzen sind, da ist Leben´.
Oder so.

Wäre ich ein Klepper, spätestens bei KM 147 hätte ich den Gnadenschuß verdient.

Und dabei rücke ich in diesem Moment gar eins vor.
Francois, der mich 24 Stunden zuvor kurz vor CP 3 passiert hatte, schleppt sich mit Höchstgeschwindigkeiten gegen 1 km/h durch inzwischen Feinstpuder.
Einer der fliegenden Organisationsärzte erlöst ihn nach 10minütigem Umkreisen in bester Geiermanier von seinen Qualen.

Stimmt, Stefan! Das Leben ist schön, Schmerzen müssen schön sein.

Solange hatte sich Francois heftigst abwinkend gegen die Abfuhr gewehrt, daß sich Jeep samt Insassen kurzzeitig meiner einer zuwandten.

Ja, ´Ca va bien !´
Doch, ´Bien, bien´ !
´Oui !´ - Ja, mir geht´s gut - Mensch, wenn ich es doch sage !
Nee, mit mir (noch) nicht, mes amis.

Viele Schmerzen, bewußtes Leben. Das Leben ist schön.
Manchmal muß man notlügen.

KM 150

3 Kilometer nach diesem Leben möchte ich einfach nur noch hinsitzen und heulen.
Wissenschaftler bezeichnen Sand, der so fein ist, das er kein Sand mehr ist, als Schluff.

Das ‚Schluffen‘ und Durchhalten hat sich unbedingt gelohnt.

‚E.T.‘ T.E. Lawrence: ´Die einzelnen Massive waren gekrönt von hochgewölbten Gipfeln gleich Gruppen von Domkuppeln. [...] Damit vollendete sich der Eindruck einer byzantinischen Architektur um diesen unvergleichlichen Ort, diesen Prozessionsweg, gewaltiger, als Phantasie ihn sich vorzustellen vermochte.´

Sagenhaft.
Einzigartige Eindrücke.

Ich habe das Wadi Ram erreicht.

*

Lachsrosa durchsandet stehen kaum zählige
Goldsteinwerke der Natur Spalier, als wollten sie uns Läufer daselbst ins Paradies geleiten. Dahinter ragen Granitwände anthrazit bis silbergrau schimmernd empor, so synchron, als hätte die Schöpfung ihren besten Dominoversuch gestellt.
Eine Dimension darüber bethronen enorme Megalith-Felsewigkeiten den gesamten Horizont, tiefbraune neben nachtschwarzen, von höchster Instanz geschaffen aus der Intention heraus, Erdenbürgern jede Bewertung von Größe, Entfernung und Zeit augenblicklich zu zermöglichen.

Überwältigend.
´Widerhallend und göttlich.´
Wadi Ram. - Oder schon ‚Life on Mars‘ ?

Sehnsucht. Da vorn ist das Ziel. Endlich.
Ist da vorn das Ziel ? Bewege ich mich noch ?

Die Szenerie, die den wandernden Wurm bewacht, errötet mehr und mehr, es ist schon wieder Nachmittag geworden.
Moby und Elvis kommentieren musikalisch begleitend: ´Run on ... for a long, long time´


Moby runs on


Elvis runs on

and me, too.

Sonst ändert sich nichts.

Das Ziel entpuppt sich als CP 13.
Für fünfeinhalb Kilometer Traumwandeln habe ich bestimmt ... wenn nicht noch länger gebraucht.
Wadl Krumm im Wadi Rum.
Proportional der Gigantik der Gesteinsmassive.
Niederschmetternd.

Mir fehlt der rituelle Antrieb, die Schuhe auszukippen. Die Kontrollmarke wird abgeknipst, doch in der Rückschau kommt es beinahe so vor, als hätte ich nicht einmal innegehalten.
Sonst ändert sich nichts.

Wie der Himmel, so die Erde.
Alles glüht.

Das pochende Herz.
Der Schluff-Sand, welchen ich kreuze.
Die wunden Füße.
Der Horizont, bereits den nahenden Sonnenuntergang erwartend.

Der letzte Kreuzzug, wahrhaftig.

Alles glüht.
Sonst ändert sich nichts.

Sonst ändert sich nichts?

KM 157

Doch.
Hanni ist an mir vorbeigesprintet, um die Frauenwertung als Gesamtzweite und Beste in ihrer Altersklasse zu vollenden.
In ihrem Schlepptau in überraschend kurzen Abständen weitere Franzosen und ein Spanier mit der offensichtlichen Frische der Küste des Lichts. Ich bin zu tot, um dagegen zu halten. Mit Muskeln, denen die Nahrung vorenthalten wird, ist schlecht rennen.

´Können Sie bitte einfach nur langsam so weitergehen ?´

Die tiefsinnige Aufforderung bei KM 160 lauernder französischer Fotografen und Filmleute reißt mich aus der Trance medial zurück in die Wirklichkeit. Kameras lechzen nach pittoresk dem Sonnenuntergangsgott zu opfernden Läufern im Endstadium.
Es ist nun wirklich egal geworden, wie lange man noch unterwegs ist.
Es kann ‚einfach nur langsam so weitergehen‘.
Was sonst ?

´Cheese !´

Ich habe Hunger, sicher seit 10 Stunden nichts gegessen, muß an den Käse in Hanni’s Rucksack denken, der, sofern noch nicht vernichtet, längst Richtung Ziel enteilt ist.
Alles glüht.
Schlußendlich auch noch der Magen.

Alles glüht. Alles leuchtet. ´Follow the glow´.

KM 250

Als ich aufwache, glüht die Sonne schon durch die Gardinen.
Das Radisson Hotel in Aqaba hat eine traumhaft komfortable Schlafstatt bereitgehalten, auch wenn ich mich an keinen Traum erinnern kann außer den einen. Denn ich meine zu erinnern, arabische Mezze, gefolgt von Spaghettinis in Tomatensauce gegessen zu haben. Und eine Apfeltorte.

Gemeinsam mit 3 Briten und dem schon erwähnten Spanier. Der sprach ganz gut französisch. Wie auch einer der Briten. Mit dem Dritten verband mich dann deutsch.

Mehrsprachiges Diner am Golf von Eilat und Aqaba.
Laufen verbindet.

Glück gehabt.
Schon gut eine Stunde nach meinem wenig beifallumtosten Zieleinschlich irgendwo im Nirgendwo war ich die letzten 82 Reisekilometer auf und vor einem Busbeifahrersitz 4sterne Komfort am Meer entgegengeschnurchelt.

Das Dinner, es war real.


Ein Lazarett

Der Schlapp zum Frühstücks-Buffet läßt Erinnerungen an Vietnamkriegsfilme aufkommen.
Schwer gezeichnete Kämpfer werden immer wieder aus Minibussen in der Hoteleingangshalle abgeladen, warten auf Zimmerpartner und –Schlüssel, derweil stark bandagierte Opfer zwischen eigenen Erholungsräumlichkeiten und Sanitätsabteilung auf dem Mezzanin Flur pendeln

Urlaubshotel im First-class-Ausnahmezustand.

Mit den meisten Füßen verglichen, sind meine wohl noch gut davongekommen. Jedenfalls kann ich nach gründlicher Selbstversorgung, in dessen Verlauf die neuen Laufsocken den letzten Gang in den Mülleimer antreten, selbst den Weg zu den docteurs sparen.
Die lieben es, stundenlang an Horn- und anderer Haut herumzuschnippeln.

Nicht umsonst ist das Pressezentrum gleich gegenüber.
Marzipan auf dem Präsentierteller eines jeden Journalisten.

Wo bitte geht’s zur ersten Amputation ?

Erst viel später werde ich bemerken, daß mir offenbar die Stirnlampe amputiert wurde, sie ist bis zum heutigen Tage verschollen und ich kann nur raten
– Camp 10 ?

Wenn die Beine laufen ... stellt der Kopf wohl die Denkarbeit ein.


Ein Fazit

Zur Siegerehrung am Abend des 07.11.2002 steht fest: alle sind gesund (na ja, mehr ...oder für den Moment auch etwas weniger) durch- und hernach mit Bus in Aqaba gut angekommen. Einige aber haben es nicht aus eigener Kraft geschafft.

Francois, ihm hatte alles Abwinken nicht genutzt, der Arzt war stärker.

Marc, mein korsischer Zimmerkollege, berichtet, er habe bei km 130 nur ein wenig im Jeep ausruhen wollen, als dieser anfuhr und der Fahrer unmißverständlich bedeutete: ´Fini !´.
Ende Gelände.

Beide tragen es mit Fassung, hatten sie doch schon im Vorjahr teilgenommen und erfolgreich mit den Besten abgeschlossen.

Insgesamt nur knapp 10 Prozent mußten unterwegs aufgeben. Rekord.

Fassungslos nehme ich das außergewöhnliche Abschneiden von unser aller Anke’s Deutschsprachigen zur Kenntnis.
Jede, jeder ins Wadi Ziel gekommen.
Nicht eine Aufgabe.
Stark.

Und der italienische Bauingenieur Marco Olmo hat ganz sicher an der Strecke mitgebaut, anders läßt sich eine Zeit unter 20 Stunden für ihn als wiederholten Sieger des Rennens nicht erklären.

Oder sollte es das Alter jenseits der 50 sein ? Je oller, je doller ?
Hoffnung für Couch Potatoes jeder Diät: es ist nie zu spät.

*

Nach Abreise fast der gesamten Läuferschar
darf ich noch einen Extra-Sommertag genießen, um bei einem netten Jogging durch Ramadan-tagschläfrige Randbezirke der Stadt über das Erlebte nachzusinnen :
Es war weit.
Es war lang.
Es war hart.
Es hat viel Spaß gemacht.
Absolut empfehlenswert – Suchtfaktor eins !
Es war soft.
Pudersand ? – ein Hammer sozusagen.

Keine 48 Stunden auf dem Gravitationsweg einer Eieruhr, die mir nach zweiunddreißig inneren Stunden und vierhundert sechsundsechzig Lichtsekunden ihr Geheimnis preisgab :

...


...


Sie läßt sich umdrehen.

In der Sauna. Im Himalaya. In der Sahara.
Überall.

Von Jedem ;-o)


Ergebnisse und Bilder Desert Cup homepage
Wer auch mal mitmachen mag Laufend Erleben mit Anke Molkenthin


Der desert cup in Jordanien findet wegen der Irakkrise derzeit nicht statt.


[all pics copyright@ shakal ryan alias windshopper alias weitmeister]

Amman
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Wüstentürme
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Amman's Blaue Moschee
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Ruhe vor dem Sturm
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der Siq
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Stab und Helfer
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